E. Bäschlin u.a. (Hrsg.): Bern Stadt und Region

Titel
Bern Stadt und Region. Die Entwicklung im Spiegel der Forschung


Herausgeber
Bäschlin, Elisabeth; Mayer, Heike; Hasler, Martin
Reihe
Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Bern 64
Erschienen
Bern 2014: Geographische Gesellschaft Bern
Anzahl Seiten
335 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Philipp Stämpfli

24 Autoren behandeln in diesem Band Themen zur Entwicklung von Stadt und Region Bern. Dabei streben die Herausgeber nicht einen vollständigen Überblick an, vielmehr präsentieren sie aktuelle Forschungsergebnisse verschiedener Disziplinen, nicht nur der Geografie. Die Artikel sind nach vier Schwerpunkten gegliedert. Zuerst nehmen die Autoren über die Stadt hinaus auch die umliegenden Gemeinden in den Blick und stellen dabei die Zusammenhänge zwischen Politik, Verwaltung, Privatwirtschaft und Bevölkerungswachstum in den Vordergrund. So werden etwa die Wechselwirkungen mit dem Wohnungsmarkt und dessen Perspektiven analysiert, ebenso Bern und seine Chancen als Kongressstandort oder Verkehrserschliessung und Pendlerströme. In diesen Kontext gehört auch die Ausdehnung der Bevölkerung über die Stadt hinaus, welche die Leser am Beispiel der Region Wohlensee nachvollziehen können.

Der zweite Schwerpunkt ist Bern als Sozialraum gewidmet. Einmal mehr wird die Diskussion um Bern-West aufgenommen, diesmal in einem Beitrag zu den Jugendlichen dieses Gebiets. Bümpliz ist mit Stöckacker und Bethlehem zusammen der Stadtteil mit der grössten Bevölkerung, zudem beträgt der Ausländeranteil 31%. Hier leben tendenziell weniger gut situierte Personen, was bei den Jugendlichen zur Mehrfachbenachteiligung führt (Fremdsprachigkeit, tiefer Sozialstatus, tiefes Einkommen der Eltern). Um mehr über das Selbstbild dieser Jugendlichen zu erfahren, drehten Forscher der Pädagogischen Hochschule Filme zu Themen aus ihrer Lebenswelt. «Hat die Schweizer Bundesstadt ein innovatives Potential?», fragen die Autoren des folgenden Abschnitts. Als Referenz dient Medellin in Kolumbien, das 2013 vom Urban Land Institute zur innovativsten Stadt des Jahres gekürt wurde. Grund war die Strategie des «Sozialen Urbanismus», bei der es darum geht, durch gezielte Investitionen in die Infrastruktur unterprivilegierter Quartiere die Stadt insgesamt aufzuwerten. In diesem Zusammenhang steht die Befürchtung, dass die Aufwertung eines Stadtteils durch höhere Wohnungspreise die bisherigen Bewohner vertreibe und eine besser gestellte Bevölkerung anziehe. Aktuell findet diese Debatte zum Berner Lorrainequartier statt. Zentral ist, dass es den Bewohnern gelingt, ihre nicht immer der Marktlogik folgenden Bedürfnisse gegenüber der öffentlichen Hand geltend zu machen, denn nur so kann verhindert werden, dass sich das Quartier sozial entmischt. Die Autoren rekapitulieren die Entwicklung der Lorraine seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, wobei die gestaltende Rolle der Alternativszene speziell betont wird. Den Schluss des zweiten Schwerpunkts bildet ein Beitrag über das Westside in Bern-Brünnen. Thematisiert wird vor allem die soziale Funktion des Einkaufszentrums, unterschieden nach Jugendlichen, Senioren sowie Erwachsenen mit Kindern. Für Jugendliche und Senioren geht es dabei nicht in erster Linie ums Einkaufen, sondern mehr noch um die sozialen Kontakte; Senioren und Erwachsene mit Kindern sind darüber hinaus froh um die Sicherheit, welche der offene und überwachte Raum des Einkaufszentrums bietet.

Den dritten Schwerpunkt bilden drei Beiträge zur Geschichte Berns. Er beginnt damit, dass Armand Baeriswyl den Forschungsstand zur Gründung und zur Gründungslegende aufzeigt. Dabei wird klar, dass die Archäologie die zuverlässigeren Fakten liefern kann als die im Sinn der Berner Führungsschicht erzählte und immer wieder herangezogene Schilderung Justingers. Im folgenden Artikel wird das Spannungsfeld von Denkmalschutz und moderner Architektur in der Altstadt um 1940 diskutiert. Als Beispiele dienen das Casino-Parking, der Neubau des Konservatoriums sowie die Renovationen der Antonierkirche und des Rathauses. Obwohl man sich des Werts der älteren Bausubstanz bewusst war, kam es in allen Fällen zu massiven Eingriffen und Verlusten; strenge denkmalpflegerische Bestimmungen wurden erst später als Folge davon erlassen. Der letzte Artikel des geschichtlichen Teils befasst sich mit alten Zeugen der Verkehrsgeschichte. Die Autoren gehen der Via Salina und der Via Jacobi nach. Beides waren wichtige Verkehrswege im alten Bern: Über die eine wurde das Salz aus der Franche-Comté importiert, die andere diente den Jakobspilgern auf ihrem Weg nach Santiago.

Der letzte Schwerpunkt ist dem Untergrund gewidmet. Einer der beiden Artikel erklärt die Entstehung der Böden des Berner Mittellandes. Die Topografie im Raum Bern ist stark von der Tatsache geprägt, dass hier der Aare- und der Rhonegletscher zusammenflossen. Die Autoren zeigen, welch komplizierte und vielfältige Vorgänge die Böden in unserer Gegend geprägt haben. Der zweite Artikel geht der Funktion der Oberflächengewässer in der Stadt und für die Stadt nach und zeigt gleichzeitig, wie sich diese geändert hat. Den Bedürfnissen der Bewohner entsprechend werden die Gewässer ganz verschieden genutzt und auch angepasst (Kanäle, Hafenanlagen, Verbauungen etc.). Der Funktions- schliesst sich eine aktuelle Zustandsanalyse der Fliess- und Stillgewässer in Bern an. Die Leserinnen und Leser können sich dabei ein Bild über die vielfältigen Aspekte von Zustand und Nutzung unserer Gewässer machen. Schliesslich werden auch die neuesten Strategien im Umgang mit dem Wasser (Schutzbauten, Renaturierung, Reintegration) vorgestellt.

Die Einblicke in verschiedenste Themen rund um Bern machen das Buch zwar durchaus lebendig. Die Frage sei aber erlaubt, ob die Artikel nicht eine grössere Aufmerksamkeit finden würden, wenn sie in einem jeweils thematisch passenden Kontext publiziert worden wären. Leider wird der inhaltlich gute Eindruck stark dadurch beeinträchtigt, dass das Buch redaktionell sehr unsorgfältig gemacht ist. Das fängt schon damit an, dass im Inhaltsverzeichnis einer der Schwerpunkte nicht erwähnt wird. Weiter hätte eine Überarbeitung in sprachlicher Hinsicht den Texten gutgetan. Zudem hat es ausgesprochen viele Tipp-, Orthografie- und Grammatikfehler, woran man merkt, dass keine Gesamtredaktion stattgefunden hat. Trotzdem ist das Buch durchaus zur Lektüre zu empfehlen, da es für die behandelten Themen gute und aktuelle Einsichten bietet.

Zitierweise:
Philipp Stämpfli: Rezension zu: Bäschlin, Elisabeth; Mayer, Heike; Hasler, Martin (Hrsg.): Bern Stadt und Region. Die Entwicklung im Spiegel der Forschung. Jahrbuch der Geographischen Gesellschaft Bern, Bd. 64. Bern 2014. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 50-52.

Redaktion
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 78 Nr. 2, 2016, S. 50-52.

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